Hallo zusammen
Während den vergangenen sechs Wochen konnte ich "Yunnan", die südwestlichste Provinz in China mit dem Fahrrad bereisen. In dieser Zeit hatte ich keinen Zugang auf den Blog und ich habe nur per Email einen kleinen Kreis von Freunden und Bekannten über mein Befinden informiert. Ich möchte es jedoch nicht unterlassen, nebst den veröffentlichten Fotos, meine Eindrücke auch wörtlich darzustellen.
Vor sieben Jahren (Juni bis September 2005) war ich zum ersten Mal in China. Ich habe damals in vier Monaten das Land von Süden (Yunnan) bis in den Norden (Innere Mongolei) mit dem Fahrrad durchquert und einen Grossteil der gleichen Strecke auch wieder in die gegengesetzte Richtung zurückgelegt. Dabei bin ich stets im Landesinnern geblieben und habe die dicht besiedelte Ostküste ausgelassen.
China hat mich vom ersten Augenblick an gefesselt, fasziniert, schockiert, verwundert, erstaunt - einfach tief berührt. In meinen Augen ist es mit nichts Anderem vergleichbar. China ist einzigartig! Und das macht einen Besuch dieses Landes enorm spannend. China zu beschreiben ist jedoch unmöglich - jedenfalls für mich. Man kann es sich nicht vorstellen, wenn man es nicht selber gesehen, gerochen, gehört und erlebt hat. Sobald man die Grenze überquert, schmiegt sich ein komplett fremder Geist an einem fest, so als würde man auf dem Jahrmarkt eine neue, geheimnisvolle Sensation entdecken, die einem sofort in den Bann zieht und alle Sinne berauscht. Sehr reizvoll! Allem voran waren es die Chinesen selbst, die mit ihrer warmen Herzlichkeit, ihrer überschwänglichen Begeisterung, ihrer freigiebigen Grosszügigkeit, ihrer offenen Einstellung, ihrer lieblichen Freundlichkeit und ihrer aufrechten Echtheit mein Herz im Sturm eroberten. Obwohl die Verständigung kaum möglich war (99% der Menschen, die ich getroffen habe, sprachen kein Englisch), wurde ich mit Gastfreundschaft und tief gehenden Begegnungen überflutet wie das "Drei-Schluchten-Tal" im Jangtsekiang, das zu dieser Zeit bereits als Stausee aufgefüllt wurde.
Was mich ebenfalls vom ersten Tag an betörte, war das köstliche, vielfältige Angebot an Speisen. In China isst man überall wie ein mächtiger Kaiser, wie ein Grossmogul (nicht Grossmaul!), wie ein Magnat an einem diplomatischen Bankett. Und das zu einem Spottpreis!
Im Jahr 2005 befand sich das Land in einem riesigen Umbruch. Überall wurde modernisiert und zukunftsweisend gebaut. Betonsiedlungen wuchsen von Menschenhand heraufbeschworen, wie Efeu aus dem Boden. Strassenbeläge wurden weggerissen, um Autobahnen, Überlandstrassen und Zufahrtswege in ein neues Netz aus Bitumen einzubinden. Das Land war eine einzige grosse Baustelle, ein Tummelplatz für Lastwagen, Bagger und Bauarbeiter. Was habe ich damals geflucht, weil ich fast täglich gezwungen war, auf schlammigen, sandigen, staubigen, holprigen oder steinigen Wegen meine Etappen hinter mich zu bringen. Was habe ich geflucht, weil ich zwischen tausenden von hupenden und Staub aufwirbelnden Lastwagen gestrampelt habe wie einer auf dem Rücken liegender Käfer. Nie wusste ich, was vor mir lag. Da konnte ich auf dem sanftesten Asphalt dahin flattern wie ein Schmetterling und nach der nächsten Kurve verlor sich die Strasse im Nichts und ich krabbelte wie eine Wühlmaus durch die Erde. Das war zu jener Zeit viel Stress für mich und eine harte Prüfung. Darum wollte ich nochmals hierher kommen. Ich wollte sehen, ob sich inzwischen etwas verändert hat. Ich wollte erleben, inwiefern sich das Land gewandelt hat.
Und ich wurde nicht enttäuscht!
Mittlerweile ist die Autobahn zwischen allen wichtige Orten in Yunnan fertiggestellt. Ein grauschwarzes Band, das über Senken schwebt und durch Berge dringt. Der ganze Transport befindet sich darauf. Alle wollen schnell und komfortabel von "A" nach "B", wer kann es ihnen auch verübeln, ist ja bei uns nicht anders. Doch für des Radlers Freude existiert die alte Strasse noch und sie wird sogar relativ gut unterhalten. Und das heisst nur Eines: Labsal. Balsam, so rein wie Waschpulver für die geschundene Radlerseele! Ruhig ist es auf ihr, kaum noch motorisierte Fahrzeuge sind da anzutreffen, niemand der hupt, kein Abgas, das einem den Atem stiehlt.
Yunnan ist bergig, da gibt es kein Flachstück. Die Anstiege und Abfahrten sind häufig lang (15 bis 20km), jedoch nie steil. Es gab Tage, da habe ich vier Pässe erklommen. Oftmals schlängelt sich die Strasse durch dichten, wilden Wald (der Süden Yunnan ist ein riesiges Naturschutzgebiet), dessen Bäume herrlichen Schatten spenden. Ich war manchmal stundenlang alleine unterwegs, in den endlosen Aufstiegen lediglich angefeuert von den unterschiedlichsten Geräuschen aus dem üppigen Dschungel. Je höher man kommt, desto lichter wird die Flora und umso mehr sieht man in die Ferne. Da macht sich der Blick frei über kilometerweite Hügelketten mit Teeplantagen, Bergflanken an denen Reisterrassen und Getreideflecken hängen. Und irgendwo tief unten sieht man die Autobahn. Jegliches Stück Land wird noch von Hand und mit Tieren wie zu Maos Zeiten bewirtschaftet. Zwischen den grossen modernen Städten scheint die Zeit nicht voranzukommen, so als klebe sie in frisch gestrichenem Lack. Da hat die neue Welt kaum Fuss gefasst.
Mir gefällt es, mich in diesem Hin und Her zu bewegen. Das ist so spannend. Da hält man sich in einer glitzernden modernen Welt auf, spürt förmlich diesen unerschöpflichen Vorwärtsdrang, indem sich das Land befindet, und nur ein paar Kilometer weiter taucht man in eine Gegend ein, die sich seit Jahrhunderten kaum verändert hat.
Die Liebenswürdigkeit der Menschen und das feine Essen haben sich in den sieben Jahren nicht verändert. Mir kam man wiederum mit einer Herzlichkeit und Freude entgegen, die mich tief berührte. Ganz selbstverständlich wurde ich zum Essen und Trinken eingeladen, Zigaretten wurden mir angeboten (gilt hier als ein Freundschaftsakt) und man versuchte mit Händen und Füssen mit mir zu kommunizieren. Überall, wo ich entlang kam, rief man mir ein "Hallo" zu oder zeigte mir den nach oben gerichteten Daumen. Dabei spielte es keine Rolle, ob ich am Fahrrad fahren oder am spazieren war. Natürlich war ich für die Meisten die Jahresattraktion und man starrte mich an, als wäre ich Pinocchio. Doch die Chinesen haben eine angenehme Art, mit der ich gut zurecht kam.
Und verköstigt wurde ich auch diesmal wieder wie eine Hoheit. Das Essen ist für Radreisende hier wirklich das absolute Nirwana, der Mount Everest, Himmel auf Erden. Auch für mich als Vegetarier überhaupt kein Problem. Dabei staunte ich immer wieder, unter welch einfachen Bedingungen und in welch schmutzigen Küchen das Essen zubereitet wird. Die Chinesen können zaubern!
Positiv überrascht war ich auch von dem gut ausgebauten Netz an Hotels. Hier hat sich einiges getan seit meinem letzten Besuch. Ich fand meistens wunderschöne Zimmer auf einem hohen Standart und sauber gehalten. Und durchaus bezahlbar (im Schnitt wohl etwa 8 Euro für ein Doppelzimmer).
März und April sind ideal, um die Gegend mit dem Velo zu bereisen. Im Süden Yunnans ist es noch tropisch, doch mit jedem Tag, den man mehr gegen Norden fährt, wird das Klima trockener und auch kühler, denn es geht ständig nach oben. Kunming liegt auf knapp 2000 m.ü.M. und dort braucht es zu dieser Jahreszeit am Abend einen Pullover. Ich hatte fast immer Sonnenschein (nur einen Vormittag hat es mal geregnet) und Temperaturen um die 25°C. Wirklich perfekt zum Radeln.
Ihr merkt, ich hatte eine gute, spannende Zeit in Yunnan und ich hätte es dort noch länger ausgehalten. Ich kann die Gegend allen empfehlen, die fernab des Massentourismus eine einzigartige Kultur entdecken wollen. Und wenn man sich nicht vor bergigem Terrain fürchtet, so lege ich euch wärmstens ans Herz, die Region mit dem Fahrrad zu bereisen.
Es gäbe noch viel zu erzählen. In meiner Schwärmerei habe ich die negativen Seiten ausgelassen - und von denen gibt es natürlich auch ein paar ;-)
Vorgestern habe ich Thailand erreicht. Von der Chinesisch/Laotischen Grenze führt nun eine neu ausgebaute Strasse mit erstaunlich wenig Verkehr direkt nach Houy Xay, die laotische Grenzstadt am Mekong (Mohan - Houy Xay = 240km). Wenn man dort den Fluss überquert, landet man in Chiang Khong. Und das gehört zu Thailand.
Von hier brauche ich noch vier Tage bis nach Chiang Mai. Dort endet meine Reise. Am 30. April bin ich wieder in der Schweiz. Viele von euch werde ich hoffentlich persönlich treffen können. Ich freue mich darauf!
Mit warmen Grüssen. Mich